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Wer die meisten Tools hat gewinnt?

Das nächste Tool wird die Rettung bringen, wird uns endlich produktiv machen! Bestimmt!

Wir verwenden jeden Tag im Durchschnitt 35 verschiedene Applikationen und wechseln über 1.000 Mal zwischen ihnen hin und her. Dieses haarsträubende Ergebnis findet sich in einer Pega-Studie, für die 5 Millionen Arbeitsstunden analysiert wurden (Pega, 2018). Während eines Monats summiert sich die Anzahl der Tools auf über 90. Eine solche Tool-Inflation wird uns nicht produktiver machen, sie wird uns lähmen: Die Pega Studie zeigt auch, dass Personen, 90 verschiedene Tools verwenden, eine um 28 Prozent höhere Fehlerrate haben als jene, die für die selben Tätigkeiten nur 30 Tools nutzen.

Die Reduktion der Tool-Anzahl allein ist allerdings kein gutes Ziel. Wenn das Hin- und Her-Schalten zwischen Tools auf Aufwand vernachlässigbar ist, weil vielleicht nur ein Tastendruck benötigt wird – und in einem anderen Tool die benötigte Information schneller im Zugriff ist oder auf andere Weise eine Trennung nützlich ist, dann besteht nicht notwendigerweise Handlungsbedarf. Relevante Faktoren, die es zu überlegen gilt, liegen in jenen Prioritäten und Herausforderungen, die eine Organisation hat – und hier wird die Bandbreite groß sein.

Ein wichtiger Grund für die Konsolidierung von Tools wären Dubletten (der gleiche Inhalt erscheint an mehr als einer Stelle); Fehlerraten, Unübersichtlichkeit (wenn erst mehrere Tools geöffnet werden müssen, um die richtige Information zu finden),

Überlegenswert wären folgende Themen:

1. Weniger Dubletten (Qualität erhöhen, Fehlerrate senken)

Die gleichen Informationen bzw. Dokumente mehrmals in verschiedenen Tools verortet? Einmal am gemeinsamen Laufwerk (in verschiedenen Versionen und: welche ist wirklich die gültige, neueste?), die gleiche Datei nochmal im Wiki hochgeladen, und in der Projektablage und auf der Kollaborationsplattform – von individuellen Ablagen gar nicht zu reden. Ertappt?
In diesem Fall empfiehlt es sich, gemeinsam festzulegen, was wo abgespeichert werden soll.

Pro-Tipp: Gemeinsam ist “einsam” jedenfalls überlegen, wenn es darum geht, wie gut (oder nicht) die Umsetzung klappt. Ein oder zwei Stunden mit 12 Personen sind jedenfalls gut investiert, wenn danach das Einhalten einer Vereinbarung gesichert ist: Wer mitgewirkt hat, wird das Ergebnis in den allermeisten Fällen auch mittragen (Mader, 2023).

2. Suchzeiten verringern (Produktivität erhöhen)

Wir suchen durchschnittlich eine bis drei Stunden (!) pro Person und Tag nach Informationen (Starmind, 2021; Zapier, 2021) – in einem durchschnittlichen Büroumfeld. Mit geeignetem Informationsmanagement wird Suchzeit zu einer vernachlässigbaren Größe (Verberne et al., 2019).

Hier ist der Moment des großen Irrtums: In den letzten 20 Jahren hat sich dieser Wert nicht verändert, nein, auch nicht verbessert. Wir suchen pro Person zwischen einer und drei Stunden pro Tag – unverändert in den letzten 20 Jahren (Starmind, 2021; Zapier, 2021, IDC, 2018; Chui et al., 2012, Feldman/Sherman, 2001). Wie kann das sein?

Die Rechnergeschwindigkeit hat sich seit den 1970er Jahren ver-7.000-facht. Gleichzeitig durchsuchen diese Rechner aber “nur” 30-mal mehr Information. Trotzdem bleibt die Suchzeit unverändert? Fazit: An der Rechnerleistung wird es wohl nicht liegen (Mader, 2023). Wie bei so vielen anderen Themen in Business und Management bringt ein systematischer Zugang den Vorteil. Wie lassen sich also nun Suchzeiten zu reduzieren?

Informationsmanagement
Verberne et al. (2019) zeigen, dass Suchzeiten mit systematischem Informationsmanagement zu einer vernachlässigbaren Größe werden. Informationsmanagement befasst sich insbesondere mit Dokumentenmanagement, mit Suchfunktionen, mit dem Beschaffen, der Produktion und dem Verteilen von Information und Dokumentation, mit Informationsprozessen (Workflows, Freigaben etc.), mit Daten und Datenbanken, Informationssystemen, Terminologie-Management, Business Intelligence, Training von Informationsverhalten und Recherchekompetenz – also mit dem gesamten Prozess der Informationsversorgung. Strategisches Informationsmanagement ist leider bis heute eine Seltenheit (Mader, 2023).

Wissensmanagement
Vorab eine wichtige Klärung: Wissen unterscheidet sich von Information dadurch, dass es einen Anwendungsbezug hat, es wird also erst beim praktischen Tun im Gehirn konstruiert. Information wäre also, wenn Expertinnen oder Experten Inhalte dokumentieren. Haben wir eine Sache zuerst in einem Buch oder Dokument gelesen (Information) und dies dann auch angewendet, bauen wir Wissen auf. In einem Buch, einem Dokument, einer Datenbank findet sich daher kein Wissen, nur Information. Weder Wissen, noch Können, noch Erfahrung, noch Kompetenz können direkt an andere transferiert werden. Hochkompetente Expertinnen und Experten können Bücher schreiben und Vorträge halten: Für alle anderen ist dies immer nur Information. Workshops, die die Arbeit an echten Projekten vorsehen, generieren bereits Wissen. Ein Frontalvortrag oder eine Datenbank: nie.

Informationsmanagement organisiert Dokumentation.
Wissensmanagement organisiert Zusammenarbeit und entwickelt Menschen.
Und Menschen entwickeln das Business.

Isabella Mader (Mader, 2023)

Wie können wir also nun die Produktivität von Wissensarbeit steigern – insbesondere, wenn Schnelligkeit und Innovation die bedeutendsten Treiber von Unternehmenserfolg sind? Das in der Organisation verfügbare Wissen ist in Menschen “gespeichert”. Das Aufgabe von Wissensmanagement liegt also darin, Menschen und Zusammenarbeit zu entwickeln. Die landläufige (und veraltete, etwa: Mitte der 1190er) Wahrnehmung lautet, Wissensmanagement wäre eine Frage von Datenbanken und Kollaborationsplattformen. Diese Ansicht ist bereits in den 1990er Jahren gescheitert. Gute gemachte und eingeführte (!) Datenbanken als Domäne des Informationsmanagements sind ein Segen und können viel Zeit sparen. Häufig fristen sie jedoch ein Dornröschen-Dasein und kommen nicht in Verwendung, veralten selektiv, erreichen manchmal nicht die Größe von Relevanz u.v.m. Wissensmanagement kümmert sich um den praktischen Teil, der mit der Teilnahme, Verwendung und Aktualisierung von Datenbanken zu tun hat – als kleinen Ausschnitt der Disziplin. Die Hauptaufgaben, die von professionellem Wissensmanagement erledigt werden, drehen sich um

  • Unterbrechungskultur als Produktivitätshemmer
    Reduktion von Unterbrechungen, die bis zu 40 Prozent der Tagesarbeitszeit unproduktiv für Rückkonzentration verschleißen. 40 Prozent! Über drei Stunden des Arbeitstages tun wir – nichts? Außer uns zurück zu konzentrieren? Hier sind wir bei einem der zentralen Produktivitätshemmer in Organisationen. Wen unterbrechen wir am häufigsten? Richtig! Unsere besten Expertinnen und Experten. Wir verwenden also unsere teuersten und besten Leute als billiges Call-Center. Gleich mit einer Reihe von (gratis!) Methoden des Wissensmanagements lösbar (Mader 2023).
  • Wissensverlust
    Unternehmenskritisches Wissen geht in Pension oder zur Konkurrenz: Dieses implizite Wissen, das (nota bene) nicht in Datenbanken gespeichert werden kann, braucht spezielle Fragetechniken in einem Expert Debriefing, um in Geschichten gespeicherte Expertise zu ziehen und weiterzugeben. Alle, die vermeinen, sie könnten ihr Wissen aufschreiben, sodass jemand anderes morgen ihren Job machen kann: Viel Vergnügen! Bis heute Abend ist nicht einmal das Inhaltsverzeichnis vollständig fertig. Ach ja, übrigens: Die Herausgabe von implizitem Erfahrungswissen kann nicht erzwungen werden. Hier liegt es an kompetenter Moderation, dies zu ermöglichen. Oftmals sind sich Wissensträger selbst ihrer Rolle und ihres Vermögens gar nicht bewusst – und ein gut moderiertes Expert Debriefing (Mader, 2023) bringt neue Erkenntnisse ans Licht, woran Vorgänge im Unternehmen tatsächlich gelingen oder scheitern. Führungskräfte sind außerdem angehalten, Menschen nicht in einem Ausmaß zu frustrieren, dass Debriefing-Moderation nur mehr Schadensbegrenzung betreiben kann, aber nicht mehr im maximalen Umfang die Weitergabe sicherstellen kann.
  • Zusammenarbeitskultur, Meeting-Kultur u.v.m.
    Unproduktive Meetings, Konkurrenzverhalten von Bereichen und Personen, die Wissensmanagement verunmöglichen, stiller Widerstand, fehlendes Engagement – und die Liste geht noch lange weiter. Und ja, es gibt produktive Meetings.
    Ungläubig lauschen Workshop-Teilnehmende immer, wenn es als Vorbedingung für funktionierendes Wissensmanagement darum geht, Konkurrenz zwischen Personen und Bereichen abzubauen. Warum? Nun, stellen Sie sich vor, Amazon und Alibaba arbeiten zusammen, und arbeiten in ein gemeinsames Wissensmanagement hinein, um sicherzustellen, dass der jeweils andere sie damit überholt? Die Entscheidung lautet also: Produktivität von Wissensarbeit oder Konkurrenz. Sie können nicht beides haben.
  • Informationsflut – hausgemachte!
    Um sicherzugehen, dass weniger Rückfragen hereinkommen, erhöhen wir die Informationsmengen, richtig? Bei einer Anfrage schicken wir einen PDF 45-Seiter (oder das Äquivalent hinter einem Link) gleich direkt zu, richtig? Wer wird das lesen? Das einzige, das wir damit erreichen, ist eine weitere Anfrage. Es geht also darum, Information zu designen, nicht zu vermehren.

Diese Liste geht noch länger weiter. Für mehr lesen Sie bei Mader (2023) nach – siehe Literaturliste am Fuß dieses Beitrags.

Nutzen 2: Nahtlose Zusammenarbeit, weniger Rückfragen

Eine weitere Möglichkeit, die Vorteile der Reduktion von Tools zu nutzen, besteht darin, dass dies die Zusammenarbeit im Unternehmen verbessern kann. Wenn jeder Mitarbeiter mit denselben Tools arbeitet, können sie sich leichter austauschen und zusammenarbeiten.

Wird beispielsweise der gesamte kundenseitige Prozess vom Erstkontakt oder Bestellung über Vertragsdetails und das Abarbeiten und den Status von Tickets bis hin zur Verrechnung in einem Tool dargestellt statt in einer Vielzahl, die dafür auch in Verwendung sind, so sparen sich Teams eine Menge unproduktiver Kommunikation und Interaktion, die dennoch aufhält. Rechnungswesen muss nicht in der IT nachfragen, ob der Zusatzauftrag schon abgearbeitet ist und verrechnet werden kann, die IT muss der Verrechnung nicht separat Bescheid geben, dass das neue Modul fertiggestellt ist und verrechnet werden kann, Kollegen müssen die Projektleitung nicht im Krankenstand zuhause anrufen, um zu fragen, wo die Implementierung gerade steht, die Geschäftsführung kann mit dem wichtigen Kunden direkt beim zufälligen Treffen bei einem Kongress nachsehen, wie der Stand des Kundenprojektes ist u.v.m.

Nutzen 3:

Dadurch können Informationen und Ideen schneller und effektiver ausgetauscht werden. Einheitliche Tools können auch dazu beitragen, Missverständnisse und Fehler zu reduzieren, die durch die Verwendung von verschiedenen Tools entstehen können.

Zusatznutzen 1: Weniger Schulungen, Support, Lizenzen

Die Reduktion von Tools kann auch dazu beitragen, die Kosten für Unternehmen zu senken. Die meisten Tools, die von Unternehmen genutzt werden, sind nicht kostenlos. Eine Studie von Blissfully aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Unternehmen durchschnittlich 32% ihres IT-Budgets für Tools ausgeben. Wenn Unternehmen die Anzahl der verwendeten Tools reduzieren können, können sie auch ihre IT-Kosten senken. Darüber hinaus können Unternehmen auch die Wartung und Schulungskosten reduzieren, die mit der Verwendung von zu vielen verschiedenen Tools verbunden sind..

Zusatznutzen 2: Weniger “Einfallstore” bei Cyber Security

Die Reduktion von Tools kann auch dazu beitragen, die Sicherheit im Unternehmen zu verbessern. Jedes Tool kann ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen. Wenn Unternehmen die Anzahl der verwendeten Tools reduzieren, kann das ein positiver Beitrag im Bereich der Sicherheitsrisiken sein.

Quellen

Mader, I. (2023) Wissensmanagement erfolgreich umsetzen. Praxisleitfaden mit Self-Check, Toolselektionshilfe und Toolbox. ISO 9001:2015 konform. Springer Gabler: Wiesbaden.

Murty, R. N. et al. (2022) How Much Time and Energy Do We Waste Toggling Between Applications? Harvard Business Review, 29. Aug. 2022. https://hbr.org/2022/08/how-much-time-and-energy-do-we-waste-toggling-between-applications

Pega (2018) Demystifying the desktop: What workforce intelligence reveals about technology and employee productivity. Whitepaper. Pegasystems. Cambridge, MA/USA.

Starmind (2021) Productivity drain and the urgency of eliminating the endless search for answers. Starmind. Zürich.

Verberne, S., He, J., Wiggers, G., et al. (2019) Information search in a professional context – exploring a collection of professional search tasks. In: Proceedings of SIGIR, Paris, Frankreich, S. 1–5 (2019) doi: 10.48550/arXiv.1905.04577

Zapier (2021) Meetings aren’t killing productivity; data entry is. Whitepaper. Zapier, Inc. San Francisco.

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